Sonntag, 18. Juni 2017

Tatort: Borowksi und das Fest des Nordens - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalk) dabei.
Leider ist das der letzte Sonntagskrimi in dieser Saison. Die Sommerpause wird, wie in den vorherigen Jahren, mit Wiederholungen überbrückt. 


Das Wichtigste vorweg: "Borowski und das Fest des Nordens" sollte eigentlich auf die spannende Folge "Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes" (2015) folgen. Es wurden jedoch zwei andere "Tatorte" mit dem Kieler Team Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli) aufgrund ihrer aktuellen Thematik (radikale Islam-Konvertiten und Cyberkriminalität) vorgezogen. Aus der heutigen Sicht macht das Verhalten der Ermittler in diesem Krimi somit wenig Sinn. Man sollte während des Films im Hinterkopf behalten, dass sie auf die Geschehnisse der Folge "Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes" reagieren.
Am Rande der "Kieler Woche" wird die Leiche einer Frau in einem verlassenen Haus gefunden. Vom Täter, der offensichtlich eine Weile dort gewohnt hatte, fehlt jede Spur. Kurze Zeit später taucht eine weitere Leiche auf. Die Fingerabdrücke an beiden Tatorten stimmen überein. Handelt es sich um einen Serienmörder? Die Zuschauer kennen den Täter von Anfang an. Roman Eggers (Mišel Matičević) ist arbeitslos, wohnungslos, hat Schulden und drei Kinder von zwei Frauen. Die erste Tote, Maren Reese (Maureen Havlena), war seine Geliebte und hatte für ihn einen Privatkredit aufgenommen. Sie war extrem anhänglich und hatte Eggers auch nach mehrfacher Aufforderung nicht in Ruhe gelassen, woraufhin er sie im Affekt erschlug. Die Ermittler ahnen, dass er nichts mehr zu verlieren hat und jederzeit wieder morden könnte. Doch im Gegensatz zu Kollegin Brandt, möchte Borowski mit der Fahndung nicht an die Öffentlichkeit gehen.

Ganz genau aufpassen

Ja, leider ist jetzt Sommerpause
Foto: NDR
Einige Zuschauer werden sich vermutlich nicht mehr daran erinnern, was 2015 in "Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes" geschehen ist und deshalb Schwierigkeiten haben, das schräge Verhalten der Kommissare nachzuvollziehen. Doch auch mit Vorwissen ist die aktuelle Folge nicht immer verständlich. Das übliche halbe Dutzend Verdächtige ist in diesem "Tatort" nicht notwendig, da der Täter für die Zuschauer von Anfang an feststeht und auch die Ermittler seine Identität schnell herausfinden. Stattdessen gibt es viele Nebencharaktere. Es fallen immer wieder neue Namen, dennoch sind Eggers und Borowski die einzigen Figuren, die langfristig im Fokus der Handlung stehen. Alle anderen bleiben leider etwas einseitig. Das rührt vor allem daher, dass der Zuschauer so gut wie nichts über Eggers Vorgeschichte erfährt. Seine Exfrau Tamara Becker (Franziska Hartmann) deutet nur grob an, weshalb sie sich von ihm getrennt hat. Über seine Beziehungen mit der toten Maren Reese und Jantje Dussmann (Katja Danowski), der Mutter seiner älteren Tochter Luisa (Lilly Barshy), erfährt man nichts. Im Verlauf der Folge tauchen weitere Charaktere aus Eggers Vergangenheit auf, darunter der Drogendealer Daniel (Pit Bukowski) und Geldverleiher Rolf Felthuus (Ronald Kukulies). Auch über sie und ihre Verbindung zum gewalttätigen Protagonisten erfährt man wenig. Die Geschichte wirkt dadurch unfertig und zusammengewürfelt. Das ist äußerst schade, da der Fall spannend und Eggers ein interessanter Protagonist ist.
Roman Eggers hat nichts mehr zu verlieren
Foto: NDR/Christine Schroeder
Leider verliert der "Tatort" immer wieder an Fahrt, was nicht an der Krimihandlung, sondern ausschließlich an den Ermittlern liegt. Borowksi und Brandt streiten sich die vollen 88 Minuten lang, ohne klar erkennbaren Grund. Zwar fallen immer wieder Andeutungen, dass es sich um eine Art Geschlechterkampf handelt, doch woraus der entstanden ist, bleibt im Dunkeln (Borowski: "Nur weil da ein Mann ist, der weinende Frauen erschlägt, hören Sie auf logisch zu denken."; Brandt: "Ich? Ihr blödes Machogehabe nervt langsam!"). Die Zickereien sind unnötig, besonders, da es der letzte "Tatort" mit Sibel Kekilli als Sarah Brandt ist. Einen würdigeren Abschied als peinliche Streitereien mit Borowski, hätte ich ihr auf jeden Fall gewünscht. Doch ihr Partner ist in dieser Folge wirklich nicht er selbst. In "Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes" wollte er seine langjährige Kollegin Frieda Jung heiraten, doch nach ihrer Entführung durch den Psychopathen Kai Korthals, ist die Beziehung zerbrochen. Dementsprechend angeschlagen wirkt der Kommissar in dieser Folge und leistet sich einen Machospruch nach dem anderen. In einer Kneipe flirtet er mit der asiatischen Bedienung Nguyet Minh (Thao Vu) und fragt: "Kann man Sie eventuell noch heiraten?" Die ist von seinen uncharmanten Sprüchen wenig angetan, verbringt dennoch einen Abend mit ihm auf der "Kieler Woche". Danach taucht sie übrigens, wie so viele Charaktere in dieser Folge, nicht mehr auf. Bei Borowskis derzeitiger Einstellung zu Frauen, ist das vielleicht auch besser so (Brandt: "Nur weil eine Frau hier auftaucht und Unordnung macht, muss man sie totschlagen?"; Borowski: "Sie hat ihn genervt. Da hat er ihr das Licht ausgeknipst."). Dadurch sieht man Parallelen zwischen dem verlassenen Kommissar und dem zum Mörder gewordenen Eggers, der nichts lieber möchte, als mit seinen Kindern ein neues Leben zu beginnen. Überraschend ist jedoch das Ende des "Tatorts". Trotz der nervigen Streitigkeiten innerhalb des Teams, ist der Fall kurzweilig, da man nie weiß, was der skrupellose Mörder als Nächstes vorhat. Dabei bleibt immer die Vermutung im Hinterkopf, dass er etwas Großes plant, bei dem viele Menschen zu Schaden kommen werden. Der Showdown fällt im Vergleich zum Rest der Folge jedoch unspektakulär, fast langweilig aus. Das rührt vor allem daher, dass das Ende sehr schnell abgewickelt wird und viele Aspekte ungeklärt bleiben.

Ruhige, aber intensive Darstellung

Was bei diesem "Tatort" besonders ins Auge fällt, sind die sehr langen Szenen. Durch das veränderte Sehverhalten der Zuschauer, bestehen Filme und Serien heutzutage aus immer mehr Schnitten. Nicht so in diesem Fall. Die Kamera verweilt so ungewohnt lange auf bestimmten Momenten, dass man sich fragt, ob das Bild vielleicht hängt. Ein Beispiel ist die Sequenz, in der Eggers seine Tochter Luisa umarmt. Die beiden halten sich sehr lange fest, ohne, dass etwas anderes geschieht. Da diese Szenen so ungewohnt für die sonst eher etwas hektischen Sonntagskrimis sind, guckt man aufmerksamer hin, obwohl so gut wie nichts passiert. Dasselbe gilt für die Aufnahme eines Wohnungsbrandes. Der Zuschauer kann, genau wie Borowski, außer Rauch nichts sehen und nur an den Geräuschen erahnen, was passiert. Auch die Endszene ist für den "Tatort" vollkommen ungewöhnlich: In der letzten Minute werden ausschließlich Fahndungsplakate gezeigt, die an verschiedenen Stellen in Kiel aufgehängt wurden. Regisseur Jan Bonny und Kameramann Jakob Beurle verabschieden den Sonntagskrimi mit einer unaufgeregten Szene in die Sommerpause. Weder die Ermittler, noch Sozialkritik oder Mord stehen bei den letzten Bildern im Fokus.
Luisa vertraut ihrem Vater nicht so recht
Foto: NDR/Christine Schroeder
In den 80 Minuten vor der Abschiedssequenz liegt der Fokus vor allem auf dem Schauspieltalent von Mišel Matičević. Seine Darstellung ist sehr eindringlich. Auf der einen Seite spürt man Eggers Angst und seine Verzweiflung. Auf der anderen Seite steht der skrupellose und gewalttätige Mörder, vor dem man unmerklich zurückweicht. Matičević spielt jede Facette seines Charakters nuanciert, sodass man dessen Handlungen nachvollziehen kann, obwohl das Drehbuch viele seiner Schritte und seine Vergangenheit nicht thematisiert. In den Szenen mit Eggers Kindern zeigt Matičević eine ganz andere Seite seiner Rolle - verletzlich und ängstlich. Die Szenen mit seiner älteren Tochter Luisa sind besonders eindrücklich. Die Reaktionen von Jungschauspielerin Lilly Barshy auf ihren Filmvater wirken unglaublich echt. Innerhalb weniger Sekunden spiegeln sich in ihrer Mimik alle Emotionen, die das Mädchen durchlebt - Angst, Misstrauen, Hoffnung und Abscheu. Der Realismus ist erdrückend. Als Ausgleich zu diesen lebensnahen Szenen, gibt es Kommissar Borowski und seine interessante These: "Er ist vor mehreren Jahren gestorben, aber er weiß es nicht oder will es nicht wahrhaben. Er ist ein Geist."

Fazit

"Borowski und das Fest des Nordens" ist aufgrund seiner tollen Bilder und starken Protagonisten ein würdiger Abschluss der 2016/2017 "Tatort"-Saison. Die Handlung hakt jedoch an einigen Stellen, was vor allem an den fehlenden Hintergrundgeschichten liegt. Auch die geänderte Ausstrahlungs-Reihenfolge tut der Folge nicht gut, da die Erlebnisse von "Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes" viel zu spät aufgearbeitet werden. Die Kommissare wirken in dieser Episode grundlos überdreht und streitbar. Die fantastische Leistung von Mišel Matičević lenkt jedoch von den Ermittlern ab und richtet den Fokus auf Eggers. Er setzt die lange Reihe unheimlicher Mörder in den Borowski-Fällen fort (Die ARD hat hierzu eine interessante "Top 10"-Liste erstellt.). Mit Lilly Barshy ist auch eine talentierte Jungschauspielerin dabei. Letztendlich bleibt "Borowski und das Fest des Nordens" jedoch vor allem wegen der ungewöhnlichen und eindrücklichen Kamerabilder im Kopf.


Das war leider der letzte Sonntagskrimi in dieser Saison. In den nächsten Wochen zeigt das Erste Wiederholungen jüngerer "Tatort"-Folgen. Doch wir machen keine Sommerpause! Bei "Watch.Read.Talk." findet ihr auch weiterhin mehrmals wöchentlich neue Rezensionen und Posts zu Serien, Filmen und Büchern. Ab voraussichtlich Anfang September dann auch wieder frische Sonntagskrimi-Kritiken

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