Dienstag, 1. August 2017

Krähenmutter (Catherine Shepherd) - Rezension

Auf der Suche nach einem frischen Krimi, hat die Neuerscheinung "Engelsschlaf" von Catherine Shepherd meine Neugierde geweckt (hier gelangt ihr zur Kritik). Da es aber das zweite Buch einer Serie ist, habe ich zuerst den Vorgänger "Krähenmutter" gelesen. 
Der Piper Verlag, wo das Buch Ende 2016 erschien, bezeichnet "Krähenmutter" als "Thriller". Ich persönlich würde es jedoch als klassischen Krimi einstufen. Mit einer Gesamtlänge von 287 Seiten eignet es sich perfekt für einen verregneten Nachmittag.

Am helllichten Tag wird der sechs Monate alte Sohn eines Unternehmers in einem Supermarkt entführt. Ermittlerin Laura Kern, spezialisiert auf Entführungen und Geiselnahmen, steht mit ihrem Team vor einem Rätsel: Es gibt weder eine Lösegeldforderung, noch irgendeine andere heiße Spur. Nur wenige Tage später verschwindet ein kleines Mädchen aus demselben Supermarkt. Was ist mit Henri und Emma geschehen? 

Dämonen der Vergangenheit

Das Cover ist "ertastbar"
Foto: Piper Verlag
Bei einem Großteil der Krimis, die ich in den vergangenen Monaten gelesen habe, war der leitende Ermittler auf irgendeine Art und Weise persönlich mit dem Fall verbunden, meistens durch ein Ereignis in seiner Kindheit (erst neulich bei meiner letzten Buchrezension "Die Bestimmung des Bösen" von Julia Corbin). In "Krähenmutter" ist das nicht anders. Kommissarin Laura Kern wurde als Elfjährige entführt und von einem "bösen Mann" gefangen gehalten. Sie konnte durch ein enges Rohr nach draußen fliehen, wurde dabei aber verletzt. Die Operationsnarben trägt sie bis heute. Dieser Umstand wird im Buch mehrere Dutzend Mal behandelt und driftet dabei öfters in die Melodramatik ab: "(...) während Laura unter ihrer Bluse ihre Vergangenheit verbarg. Jene Stunden, in denen sie um ihr Leben gefürchtet hatte. Die ihr jegliches Vertrauen in die Menschen genommen hatten. Laura hatte das Böse gesehen, die Gier, die Mordlust. Sie hatte ihrem Peiniger in die Augen geblickt - und hinter seiner Maske das Grauen gefunden." Die Narben, sowie Lauras Albträume sind regelmäßig Thema, sie tragen jedoch nichts Nennenswertes zu "Krähenmutter" bei. Zwar ist Kern durch ihre Erfahrungen empfindsam und vorsichtig, doch nicht so auffallend, dass es sie von anderen Ermittlern abheben würde. Lauras Leben weist außerdem viele Löcher auf, wodurch es wenig nachvollziehbar ist. So erfährt der Leser beispielsweise, dass ihr Ermittlungspartner Max Hartung von ihrer Vorgeschichte weiß. Inwieweit andere Kollegen oder Bekannte sie kennen, bleibt im Dunkeln. Weiterhin lernt man nichts über Lauras Entführung, außer wie sie durchgeführt wurde und wie das Mädchen entkommen ist. Über den Täter; seinen Verbleib; seine weiteren Opfer; Lauras Familie; ihre Kindheitsfreundin, die den Mann ebenfalls hätte identifizieren können plus viele weitere Details wird kein Wort verloren. Das ist schade, da man so schlecht einen Bezug zur Protagonistin aufbauen kann. Die dutzendfache Erwähnung ihrer Narben und ihrer Einsamkeit ist nicht genug, um sich mit ihr zu identifizieren oder Sympathie aufzubauen. Meistens ist die Kommissarin eher hektisch und ungehalten ("Wie konnte er es wagen, sich so dreist aufzuführen? Sie war hier, um zu helfen, und nicht, um sich von `Mister Wichtig´ niedermachen zu lassen."). Die anderen Charaktere bleiben ebenfalls einseitig. Lauras Partner Max ist attraktiv, hat eine nervige Ehefrau und kann Zeugen mit viel Geduld Informationen entlocken. Taylor Field, ein plötzlich auftauchender Beamte der Mordermittlung, ist Halb-Amerikaner, neugierig, außerdem ebenfalls gutaussehend. Mehr erfährt man über die drei zentralen Figuren nicht.
Diese wenigen Informationen, die man erhält, sind sehr direkt formuliert. So schreibt Autorin Catherine Shepherd über ihre Protagonistin beispielsweise: "Auch wenn Laura selbst es nicht wahrnahm - sie war eine Schönheit." oder "Sie war außergewöhnlich einfühlsam (...)." Ich finde diesen Schreibstil etwas platt. Es wäre deutlich spannender und fantasievoller, wenn sich der Leser durch Schilderungen und Beobachtungen von Lauras Umwelt selbst ein Bild von ihr machen könnte. So bekommt man leider bereits die fertige Analyse vorgesetzt. Zwar bleibt die Geschichte auf diese Weise sehr kurz und kompakt, aber auch farblos. 

Spurlos verschwunden

Abschnitte werden durch Krähenfüße unterteilt
Foto: Katrin Mertens
In den meisten Krimis wird in einem Mordfall ermittelt, daher fand ich es interessant, dass "Krähenmutter" eine andere Richtung einschlägt und ein Serienentführer anstelle eines Serienkillers gesucht wird. Auch die Wahl der Opfer ist ungewöhnlich. Da es sich um Babys handelt, zwischen denen nicht die geringste Verbindung besteht, bleiben den Kommissaren nicht die üblichen Verdächtigen wie der Liebhaber, der gehörnte Ehemann oder die beruflichen Feinde. Dementsprechend unterscheidet sich die Handlung angenehm von den Standard-Ermittlungen der meisten Krimis. Dabei fällt es nicht ins Gewicht, dass man früh weiß, was mit den Babys passiert ist. Denn parallel zum Polizei-Geschehen wird auch die Situation der ungewöhnlichen Entführer geschildert. Dadurch ist zwar kein Nervenkitzel vorhanden, aus diesem Grund würde ich das Buch nicht als "Thriller" bezeichnen, es ist aber dennoch interessant, einen ganz anderen Täter-Typ kennenzulernen. Hier liegt die Stärke des Buches: Shepherd hat ihren Fokus nicht darauf gelegt, ein möglichst abartiges Verbrechen und einen völlig psychopathischen Täter zu erfinden, sondern ein deutlich realistischeres Bild gezeichnet. Infolgedessen ist es seltsam, dass die Kommissare das offensichtlichste Motiv bei einer Kleinkindentführung erst sehr spät in Betracht ziehen. Sie haben bis dahin nicht einmal über diese Möglichkeit gesprochen, sondern sie immer irgendwie umgangen. Das wirkt leider, als wäre hier künstlich Zeit geschunden worden. Es ist einfach unlogisch, dass einem Team professioneller Ermittler die plausibelste, realistischste Erklärung nicht einmal kurz in den Sinn kommt, deutlich komplexeren Ideen dafür bis ins kleinste Detail nachgegangen wird.
Das Ende ist leider ähnlich diffus. Bis kurz vor Ende tappen die Kommissare im Dunkeln, dann werden Täter, Motiv und weitere Einzelheiten auf einen Schlag aufgeklärt - nicht nur bei den Entführungen, sondern auch noch bei dem Mordfall, den Taylor Field bearbeitet. Dass beide Ermittlungen irgendwie zusammenhängen, kann man sich früh denken. Die letztendliche Auflösung ist jedoch sehr banal und hanebüchen. Die Umstände sind derart unpräzise, dass Kommissarin Kern ihren Kollegen (und dem Leser) auf den letzten Seiten noch einmal ausführlich erklärt, was eigentlich geschehen ist. Dabei fasst sie auch die Verhöre mit dem Täter und andere Ermittlungsschritte zusammen, die scheinbar nicht mehr ins Buch gepasst haben. Der cleveren und einfallsreichen Ausgangssituation wird das Finale leider nicht gerecht.

Fazit

"Krähenmutter" ist der Auftakt einer neuen Buchreihe, was man den Hauptfiguren deutlich anmerkt. Sie wirken noch recht unausgereift - blass, einseitig und auf eine grobe Beschreibung aus Adjektiven festgelegt. Ihre Besonderheiten werden zwar angesprochen, aber zu wenig mit der eigentlichen Handlung verwoben. Dasselbe gilt für den Fall. Obwohl ihm eine vielversprechende, unverbrauchte Idee zugrunde liegt, wirken die Ermittlungen umständlich konstruiert und das Ende zu überstürzt. Weiterhin fehlen sowohl Laura Kerns Vorgeschichte als auch der Krimihandlung wichtige Fakten, um sie plausibel nachvollziehen zu können. Ich rechne damit, dass einige offene Fragen im zweiten Teil der Reihe beantwortet werden. Hoffentlich sind die Hauptcharaktere dann facettenreicher und freier gestaltet.


Hier gelangt ihr zu meiner Rezension von "Engelsschlaf", dem zweiten Buch der Laura-Kern-Krimireihe.

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