Sonntag, 27. August 2017

Tatort: Virus - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalk) dabei. 

ENDLICH ist die Sommerpause beendet! 
Ab heute gibt es wieder neue Folgen "Tatort" und "Polizeiruf 110".  Bevor es los geht, lasst die vergangene Saison noch einmal mit unseren "Tops und Flops der 2016/2017-Sonntagskrimis" Revue passieren (hier geht es zum Post).


Den Anfang macht in dieser Saison das Team aus Österreich. Die Wiener Kommissare Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) werden in die kleine Gemeinde Pöllau gerufen. Im örtlichen Steinbruch liegt ein toter dunkelhäutiger Mann, den niemand zu kennen scheint. Doch die Ermittler merken schnell, dass einige Dorfbewohner etwas zu verbergen haben. Thomas Reuss (Martin Niedermair), der Betreiber des Steinbruchs, wollte beispielsweise eine geplante Sprengung vorziehen - nur durch einen Zufall wurde die Leiche noch rechtzeitig gefunden. Sein Bruder Albert (Andreas Kiendl) leitet einen Fluchthof, auf dem Asylbewerber aus Nordafrika leben. Auch dort scheint es Geheimnisse zu geben. All das tritt nach einem beunruhigenden Anruf des Rechtsmediziners in den Hintergrund: Der Tote trägt den Ebola-Virus in sich.


PANIK und Heiterkeit liegen nah beieinander

Wird sich der Virus ausbreiten?
Foto: ORF
Eisner und Fellner sind im Gegensatz zu ihren Kollegen aus Weimar oder Münster zwar kein "rein humoristisches" Team, doch auch bei ihnen wird gerne gewitzelt und geblödelt. "Virus" ist da keine Ausnahme ("Leck mich am Arsch, die Wiener!"). Hier liegt jedoch das Grundproblem: Der Krimi findet keinen stimmigen Ton. Auf der einen Seite liefern sich die beiden Ermittler einen ständigen komödiantischen Schlagabtausch und rangeln beim Polizeisport wie Kinder auf dem Schulhof. Auf der anderen Seite möchte der Krimi auf die fast vergessenen humanitären Krisen in Afrika aufmerksam machen. Außerdem ist da noch die Gemeinde im Ebola-Ausnahmezustand und Rechtsmediziner Michael Kreindl (Günter Franzmeier), der seine junge Assistentin mit notgeilen Sprüchen verunsichert (Eisner: "Wird das a Sonderschicht?" Kreindl: "Millionen von 23-Jährigen werden sich heute Nacht einsam und unbefriedigt in den Schlaf weinen."). Diese unterschiedlichen Stimmungen wollen einfach nicht zusammenpassen. Am deutlichsten zeigt sich das in den letzten Minuten des Films. Ohne zu viel zu verraten: Hier liegen Witzeleien und Panik seeeeehr nah beieinander, bevor es aber tatsächlich spannend werden kann, läuft auch schon der Abspann. Ich bin neugierig, ob der nächste Fall das offene Ende aufgreifen wird. Interessant und sinnvoll wäre es, aber Kontinuität ist ja leider keine Stärke des Sonntagskrimis.
Dr. Reuss hat früher als Arzt in Guinea gearbeitet
Foto: ARD Degeto/ORF/Epo Film/Hubert Mican
Worauf man sich bei "Tatort" und "Polizeiruf" aber fast mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit verlassen kann: Der sozialkritische Ansatz. In "Virus" ist es, wie oben bereits erwähnt, die Krankenversorgung in Afrika. Die ersten zwei Minuten der neuen Krimi-Saison spielen auf einer Ebola-Station in Guinea, wo überarbeitete Helfer in Ganzkörperanzügen um das Leben der Infizierten kämpfen. Für mich waren diese Szenen das Highlight, da sie mich im Gegensatz zum Rest der Folge gefesselt und berührt haben. Die verzweifelt flehenden Kranken und die hoffnunglos-triste Umgebung lassen einen schnell vergessen, dass Regisseurin Barbara Eder die Seuchenstation in  Niederösterreich nachbauen ließ. Es ist ein gelungener Einstieg in ein Thema, an das viele Menschen nur denken, wenn es in den aktuellen Nachrichten oder zu Weihnachten in TV-Spendenmarathons erwähnt wird. Leider verliert Drehbuchautor Rupert Henning die Materie zwischen der Ebola-Hysterie, den herumalbernden Ermittlern und der lautstarken Dorfbevölkerung schnell aus den Augen. Erst beim Showdown wird erneut an die Situation in Afrika erinnert. Im Gegensatz zu vielen anderen Fans stört es mich nicht, wenn sozialkritische Themen in die Sonntagskrimis eingeflochten werden. So spiegelt jede einzelne Saison die relevanten politischen und gesellschaftlichen Schlagzeilen eines Jahres wieder, wie eine Art geschichtliches Gedächtnis. Da der "Tatort" mit fast 47 Jahren mehr als doppelt so lange existiert wie ich, schaue ich mir gerne alte Folgen an, um ein Gefühl für die Jahrzehnte zu bekommen, die ich nicht erlebt habe. Daher finde ich es schade, wenn soziale Themen nicht flüssig in die Geschichte übergehen, sondern gezwungen und deplatziert wirken - wie in "Virus". Durch die Kürze der thematischen Szenen und den ablenkenden Humor, haben auch die eindrücklichen ersten Minuten und der Showdown keinen großen Nachhall. Die Not in Afrika ist hier leider nur der Aufhänger, um durch die Angst vor einer Ebola-Epidemie Spannung zu erzeugen.

Noch mehr PANIK

Dr. Rottensteiner (r.) lässt das Dorf abriegeln
Foto: ARD Degeto/ORF/Epo Film/Hubert Mican
So ganz geht der Plan allerdings nicht auf, denn viele der Charaktere scheinen keine sonderlich große Angst zu haben. Das beste Beispiel sind Eisner und Fellner, die der Leiche sehr nah gekommen sind und erste Krankheitssymptome zeigen. Zwar gucken sie mal ein bisschen ängstlich, doch die meiste Zeit über granteln und blödeln sie wie immer. Ob das realistisch ist? Ziemlich wahrheitsgetreu wirkt hingegen der Beamte des Seuchenkommandos. Dr. Klaus Rottensteiner (Markus Schleinzer) ist überkorrekt, beflissen und duldet keine Alleingänge. Als Bibi und Moritz trotz aller Ermahnungen mit einem halben Dutzend Polizisten zum Fluchthof fahren, ruft der genervte Virologe ihnen hinterher: "Dann steckt's euch halt alle an, ihr Provinztrotteln! Mia isses ja persönlich wurst. Ich mag keine Menschen, mia haben an Überbevölkerung: Löst sich das Problem von allein." Definitiv einer der witzigsten Kommentare der jüngeren "Tatort"-Geschichte! An den beiden Wiener Ermittlern stört mich häufig, dass ihre Dialoge aufgesetzt klingen und sie als Charaktere künstlich wirken. Rottensteiner ist für mich das krasse Gegenteil - ehrlich und trocken. Markus Schleinzer scheint die Rolle des beflissenen Beamten zu leben. Im Vergleich zu ihm wirken die meisten anderen Figuren blass. Allen voran Eisners und Fellners Chef Ernst Rauter (Hubert Kramar) sowie ihr Kollege Manfred “Fredo” Schimpf (Thomas Stipsits). Beide werden in ihren kurzen Auftritte vor allem als "comic relief" verheizt. Da der Fokus in "Virus" auf den Kommissaren und der Ebola-Angst liegt, spielen auch die Verdächtigen nur eine untergeordnete Rolle. Wirklich im Gedächtnis geblieben ist mir lediglich David Wurawa als Dr. Kamil Daouda Maka. Seine Darbietung hat mich deutlich mehr beeindruckt und "geschockt" als die eher uninspirierte Ebola-Quarantäne. Mehr kann ich dazu leider nicht sagen, ohne etwas zu spoilern.

Fazit

In den letzten Jahren ist es schon fast zur Tradition geworden, dass die Sonntagskrimi-Saison mit einem eher durchschnittlichen "Tatort" startet. Das trifft auch diesmal zu. Der Grundgedanke von "Virus" ist packend und bietet Stoff für einen Thriller. Doch das Drehbuch wurde mit dem falschen Ermittlerteam umgesetzt. Durch Eisners und Fellners komödiantische Einlagen - die teilweise in den Klamauk abrutschen - wird dem Thema die Ernsthaftigkeit, somit auch die Spannung genommen. Die Mördersuche rückt ebenfalls in den Hintergrund. Der Zuschauer hat nicht die Möglichkeit die Charaktere näher kennenzulernen, wodurch die Ebola-Angst noch mehr an Bedeutung verliert. Die eindrückliche Eröffnungsszene, einige tolle Episodencharaktere und eine Handvoll gelungener Dialoge machen "Virus" dennoch zu einem passablen Krimi.


Wie gewonnen, so zerronnen. Schon nach einer Folge macht der Sonntagskrimi eine kurze Pause. In der nächsten Woche zeigt die ARD stattdessen das TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz. Am 10. September geht es dann weiter mit einem neuen "Tatort" aus Stuttgart. In "Stau" müssen die Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) den Mord an einem Mädchen aufklären.

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