Sonntag, 8. Oktober 2017

Tatort: Hardcore - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalkdabei.


Pornodarstellerin "Luna Pink" (Helen Barke) wurde stranguliert - nachdem sie ein Sexvideo mit 26 Männern gedreht hatte. Die Münchener Kriminalkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) fühlen sich bereits am Tatort unwohl, an dem ein Planschbecken voller Körperflüssigkeiten steht. Doch es wird noch unangenehmer: Die Tote heißt mit richtigem Namen Marie Wagner und ist die Tochter des Staatsanwaltes Rudolf Kysela (Götz Schulte). Er und seine Frau Christina (Sylvana Krappatsch) wussten nichts von diesem Nebenjob. Lediglich Maries Freundin und ehemalige Porno-Kollegin Stella Harms (Luise Heyer) sowie die beiden Produzenten Olli Hauer (Frederic Linkemann) und Sam Jordan (Markus Hering) scheinen die Tote sowohl privat als auch beruflich gekannt zu haben. Doch wer hat sie umgebracht?

Familienunterhaltung sieht anders aus

Noch kurz entspannen vor der Großaufnahme
Foto: BR/Hagen Keller
Vor vielen Jahren sorgte Götz George als Duisburger "Tatort"-Kommissar Horst Schimanski für einen Skandal, weil er im öffentlich-rechtlichen Fernsehen "Scheiße" sagte. Mittlerweile sind die deutschen Primetime-Zuschauer so einiges gewöhnt. Wörter wie "Fuck" oder "Bitch" schockieren kaum noch jemanden. "Hardcore" ist aber - wie der Name schon dezent verrät - um einiges kontroverser. Denn hier werden perverse Pornopraktiken im Plauderton diskutiert und eklige Details erörtert (beispielsweise finden sich im Magen der Toten zwei Dutzend verschiedene Spermaspuren). Nackte Tatsachen gibt es auch im Minutentakt zu sehen. Diese Bilder toppt nur noch der seltsame neue Assistent Ritschy Semmler (Stefan Betz), der ziemlich irre guckt und beim Anblick des Pornomaterials gerne hechelt. Der "Tatort" ist offiziell ab 12 Jahren freigegeben und wird von vielen als wöchentliches Familienevent gesehen. Die Frage, ob dieser Krimi nicht besser auf einen späteren Sendeplatz verlegt worden wäre, wird dementsprechend sicher noch heiß diskutiert werden. Batic und Leitmayr machen jedenfalls keinen Hehl daraus, wie verstörend sie das Milieu finden (Leitmayr: "Das Planschbecken da draußen, voller Sperma und Pisse, ist bei Ihnen normaler Bestandteil von 'nem Porno oder was?" Produzent Hauer: "Haben Sie bis jetzt noch keinen Guten gesehen oder was?" Leitmayr: "Doch, deshalb frage ich.")
Die Ermittler müssen alle 26 Männer identifizieren
Foto: BR/Hagen Keller
Witzige Sprüche bringen die Drehbuchautoren Philip Koch (führt auch Regie) und Bartosz Grudziecki fast so häufig ein wie blanke Hintern. In diesem Sinne wirkt "Hardcore" eher wie ein "Tatort" aus Münster oder Weimar. Wirklich ernst konnte ich hier nichts nehmen. Die Kommissare sind jedoch ein guter Gegenpol zu der eher abstrakten Handlung. Im Gegensatz zu vielen anderen älteren TV-Ermittlern  sind sie aufgeschlossen und verteufeln nicht direkt allerdings. Dennoch stehen sie dem ganzen Thema eher kritisch und ungläubig gegenüber (Batic: "Was genau war das eigentlich hier?" Kalli: "Vielleicht 'ne Feier." Leitmayr: "'ne Feier! Darunter verstehe ich Champagner, kultiviertes Tanzvergnügen..."). Dieses ungelenke, peinlich-berührte Verhalten führt zu einigen witzigen Situationen. Eine Szene stach hier für mich besonders heraus: Batic und Leitmayr müssen Staatsanwalt Kysela nicht nur über den Tod seiner Tochter informieren, sondern ihm auch beibringen, dass Marie als Pornodarstellerin gearbeitet hat. Vor dem Gespräch diskutieren die Kommissare hin und her, wer ihm nun was sagt (Leitmayr: "Ich sag das mit dem Mord, du sagst das mit dem Porno, ja?" Batic: "Ne, sag du das mit dem Porno.") Da haben mich die beiden an die typische "Ich klopfe, du sprichst"-Abmachung erinnert, die wohl viele noch aus der Schulzeit kennen. Auch über ihr Unwissen im Bereich Technik und neue Medien können die Münchener Ermittler witzeln (Leitmyar: "Kalli! Sam Jordan, da schickst du uns gleich die Adresse und nicht über dieses WhatsApp. SMS kann sich die Polizei schon leisten, gell?"). Eine nette Abwechslung zu den ganzen Sonntagskrimis der letzten Monaten, deren Hauptzweck es zu sein schien, die Zuschauer über Internet und künstliche Intelligenz aufzuklären.

Bitte mordet doch mal ganz eindeutig!

Wer bist du, Mühlbauer? Was willst du?
Foto: BR/Hagen Keller
Die "Tatort"-Saison ist noch jung und trotzdem scheint sich bereits ein Trend zu unspektakulären und lieblos zusammengeschusterten Auflösungen zu zeigen, wie es beispielsweise in "Zwei Leben" und "Stau" der Fall war. Auch bei "Hardcore" wirkt das Ende sehr abrupt und unschlüssig. Die einzige Stärke der Auflösung liegt darin, dass sie so einfallslos und der Mörder so unauffällig ist, dass viele Zuschauer den Täter wohl erst kurz vor Ende erraten werden. Er gesteht die Tat nämlich noch bevor die Ermittler ihn überhaupt enttarnt haben. Weiterhin kommt am Ende plötzlich noch der neue Verdächtige Stefan Mühlbauer (Daniel Flieger) hinzu, bei dem die ganze Zeit über nicht wirklich klar wird, wer genau er ist und was er vor hat. Das wird leider auch nicht mehr aufgeklärt. Die letzte Szene dieses Krimis zeigt Mühlbauer in einer Situation, die man in viele Richtungen interpretieren kann. Ich persönlich konnte mir nicht erklären, was genau die Drehbuchautoren damit sagen wollten. Falls sich jemand sicher ist, des Rätsels Lösung zu haben: Schreibt es gerne in die Kommentare! Außerdem spielt Daniel Flieger seine mysteriöse Figur sehr eckig, sodass es noch schwieriger ist, Mühlbauers wahre Motive zu erkennen. Auch viele der anderen Schauspieler wirken hölzern, als wären ihnen selbst einige Szenen peinlich gewesen. Als Ausnahme kann ich hier die Ermittler nennen. Normalerweise bin ich kein großer Fan von Batic und Leitmayr, aber in "Hardcore" agieren sie angenehm erfrischend und witzig. Besonders Kalli hat mir gefallen. In dieser Folge kann er beweisen, was in ihm steckt. Ferdinand Hofer merkt man seine ehrliche Spielfreude auch wirklich an.

Fazit

"Hardcore" ist eher Porno als Krimi. Während verschiedene Sexpraktiken intensiv thematisiert und gezeigt werden, plätschert die eigentliche Handlung eher vor sich hin. Die Ermittlungen ziehen sich und am Ende wird plötzlich ein Mörder aus dem Hut gezaubert, dessen Motiv mehr als wacklig ist. Durch die seltsame Endszene wird die Auflösung dann wieder in Frage gestellt. Wer einen spannenden Kriminalfall erwartet, wird enttäuscht werden. Die Ermittler stehen dem Thema aufgeschlossen entgegen und brillieren mit einigen witzigen Sprüchen. Leider können Batic, Leitmayr, Kalli und ihr trockener Humor diesen "Tatort" auch nicht herumreißen.


Nächste Woche Sonntag ermitteln die Stuttgarter Kommissare Sebastian Bootz (Felix Klare) und Thorsten Lannert (Richy Müller) zum zweiten Mal in der 2017/2018-Saison. In "Der rote Schatten" ermitteln sie in einem Fall, der Verbindungen zur RAF aufweist.

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