Sonntag, 21. Januar 2018

Tatort: Bausünden - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalkdabei.


Marion Faust (Anja Weingarten), eine Angestellte des Kölner Grand Central Palace Hotels, wurde vom Balkon ihrer Wohnung gestoßen. Kurz vorher hatte sie auf dem Anrufbeantworter von Susanne Baumann (Jana Pallaske, Fack ju Göhte 3) mehrere panische Nachrichten hinterlassen. Kommissar Freddy Schenk (Dietmar Bär) und sein Kollege Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) versuchen Susanne zu befragen, doch sie ist unauffindbar. Weder ihr Ehemann Lars (Hanno Koffler) noch ihre Zwillingsschwester Daniela Mertens (Jana Pallaske) wissen, wo sie sein könnte. Während die Ermittler untersuchen, was Susanne mit der Toten zu tun hatte, sucht Lars obsessiv nach seiner Frau. Die Eheleute arbeiten beide für ein Architekturbüro, das in Katar ein Hotel für die Fußballweltmeisterschaft 2022 baut. Hat Chef Könecke (Julian Weigend) Susanne getötet, weil sie zu viel über die Korruption in dem Gewerbe wusste? Und weshalb musste Marion sterben?

Afghanistan-Krieg, FIFA und Hardcore-Sex 

Trägt Ballauf (l.) einen Ehering?
Foto: WDR
"Bausünden" schlägt einen ähnlichen Weg ein, wie der Wiener "Tatort: Die Faust" in der letzten Woche: Zu Beginn scheint es ein solider Kriminalfall zu werden, dann verstrickt sich die Geschichte in viel zu großen, anspruchsvollen Themen. Während es in der letzten Woche die osteuropäische Bürgerrechtsbewegung mit Verbindung zur CIA war, sind es diesmal FIFA-Bauprojekte in Katar und die posttraumatischen Belastungsstörungen ehemaliger Soldaten. Beides wird jedoch nur grob angesprochen. Zuschauer, die den medialen Aufschrei um die Luxushotels zur WM 2022 nicht verfolgt haben, werden sich um 21:45 Uhr vielleicht fragen, was genau eigentlich die titelgebende "Bausünde" gewesen sein soll. Kritik an der Ausbeutung der Gastarbeiter kommt zum Beispiel praktisch gar nicht vor (Daniela Mertens: "Die Firma Könecke baut in Katar ein riesiges Hotel. Den Arbeitern zahlen sie Hungerlöhne Da wurde wohl genug Geld verdient, um es mit vollen Händen wieder auszugeben."). Auf der einen Seite ist das gut, da dem Zuschauer stundenlange Erklärungen über architektonische Großprojekte erspart bleiben. Andererseits wirft es die Frage auf, wieso sich der "Tatort" dann überhaupt diesen Themen widmet. Es hätte die Geschichte in keinster Weise verändert, wenn der Arbeitgeber der Verschwundenen in Köln statt Katar gebaut hätte - in der Domstadt gibt es ja genug geldfressende Großprojekte. Einen konkreten Bezug zur WM oder zum Emirat hat der Fall jedenfalls nicht. Die Kommissare schießen sie sich sehr früh darauf ein, dass Ex-Soldat Lars Baumann, seine verschwundene Ehefrau und der gemeinsame undurchsichtige Arbeitgeber etwas mit dem Mord zu tun haben. Darum durchleuchten sie das Privatleben der toten Marion Faust gar nicht erst. Ich habe mich gegen Ende nicht gefragt, wer die Hotelangestellte vom Balkon gestoßen hat. Stattdessen habe ich versucht zu verstehen, wieso die Drehbuchautoren Uwe Erichsen und Wolfgang Wysocki komplizierte, gesellschaftskritische Themen einbringen, nur um den Fokus dann doch vollkommen auf die Charaktere zu legen. Die Auflösung des Mordfalls könnte den einen oder anderen Zuschauer sicher überraschen. Gewohnheits-Krimigucker werden jedoch schnell realisieren, worauf die Geschichte hinausläuft.

"Lauter Idioten um mich herum!"

Die Hauptdarsteller bei den Dreharbeiten im März
Foto: Katrin Mertens
...schimpft Lars Baumann, als er realisiert, dass er verdächtigt wird. Unrecht hat er damit nicht, denn die Figuren in "Bausünden" sind alle ziemlich anstrengend - angefangen bei dem Ex-Soldaten selbst. Viel erfährt der Zuschauer nicht über ihn, obwohl einige Informationen notwendig gewesen wären, um seine Kurzschlussreaktionen nachvollziehen zu können (Kaum ist seine Frau ein paar Stunden nicht da, eilt er aus Katar nach Deutschland und startet blind eine Suchaktion.). So wird beispielsweise nicht darauf eingegangen, was bei seinem letzten Einsatz als Soldat passiert ist, dass er danach nicht mehr mit seiner Ehefrau intim werden wollte. Es wir auch nicht klar, ob er tatsächlich Wahnvorstellungen oder einfach nur Angst um Susanne hat. Schauspieler Hanno Koffler gibt sein Bestes, um dem verzweifelten Mann Tiefe zu geben, doch das Drehbuch lässt ihn nicht. Baumann stolpert wütend in zahlreiche Büros und wiederholt "Wo ist meine Frau?" so oft, dass es scheint, als sei die Beantwortung der Frage sein einziger Lebensinhalt. Dabei bleibt er eindimensional, da er außer wütend und verzweifelt keine Emotionen zu haben scheint und nicht nachvollziehbar handelt. Statt seine Ehefrau offiziell als vermisst zu melden, rennt Lars den Kommissaren lieber davon. In einer der wenigen spannenden Szenen schlägt er eine Scheibe an Freddy Schenks Wagen ein und springt während der Fahrt auf die Straße (Schenk zu Ballauf: "Den Bericht dazu schreibst du!"). Die Actionsequenz kommt überraschend und ist gut gemacht, besonders weil sie nicht völlig unrealistisch aussieht. Jana Pallaske kann als Daniela Mertens ebenfalls nur wenig schauspielerische Bandbreite zeigen. Ihre Rolle beschränkt sich darauf, Lars Baumann an verschiedenen Orten zu suchen und ihn dann während ihrer Unterhaltungen mitleidig anzusehen. Gegen Ende verschwindet die Frau dann wortlos von der Bildfläche, obwohl es interessant gewesen wäre, ihre Reaktion auf die Schlussminuten zu sehen.
Dieser Anblick gehört nun der Vergangenheit an
Foto: WDR/Martin Valentin Menke
Auf Seiten der Polizei ist ebenfalls ein Verlust zu beklagen. "Bausünden" ist der letzte Fall mit Patrick Abozen als Tobias Reisser, dem Assistenten der Mordkommission. 2014 hatte er seine Vorgängerin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) beerbt, die nach vielen Dienstjahren in einer fantastischen, nach ihr benannten "Tatort"-Folge gestorben war. Ein Abschied ist Tobias nicht vergönnt. Ihm wird nur die Arbeit ein wenig erleichtert. Während es im Fernsehen (und im realen Leben leider auch) die Regel ist, dass generell der letzte Versuch zum Erfolg führt, findet der fleißige Assistent das entscheidende Überwachungsvideo gleich auf dem ersten von rund zwei Dutzend USB-Sticks (Schenk: "Du greifst da rein und wirst sofort fündig?" Reisser: "Das Genie beherrscht das Chaos!" Schenk: "Du füllst ab sofort meine Lottoscheine aus! So viel Glück kann keiner haben!"). Freddy wird nun wohl ohne Millionengewinn leben und zudem einen neuen Assistenten finden müssen. Tobias ist nicht einmal beim traditionellen Feierabendbier an der Würstchenbude dabei. Ich finde es sehr schade, dass er nicht verabschiedet wird - das haben weder Rolle noch Schauspieler verdient. Immerhin soll der Ausstieg im nächsten Kölner "Tatort" erklärt werden, so gibt es wenigstens kein Loch im Erzählfluss.

Fazit

"Bausünden" startet wie der "Tatort" in der vorherigen Woche als vielversprechender, solider Kriminalfall, verstrickt sich jedoch schnell in komplexen, gesellschaftskritischen Themen. Sie dienen jedoch nur als grobe Rahmenhandlung und haben wenig mit den eigentlichen Ermittlungen zu tun. Daher fehlt es an allen Ecken und Enden an Informationen, die der Zuschauer zum Verständnis der komplexen Thematiken braucht. Die Auflösung wird letztendlich in wenigen Sätzen erklärt, ohne dabei einige zentrale Fragen zu beantworten. Stattdessen konzentriert sich die Geschichte viel zu sehr auf einige eindimensionale, unergründliche Charaktere, deren Verhalten wenig nachvollziehbar ist. Zeit für den Abschied von Assistent Tobias Reisser bleibt in diesem gehetzten, umständlichen Krimi hingegen leider nicht. Insgesamt ist "Bausünden" ein schwacher Fall, was größtenteils auf das Drehbuch zurückzuführen ist.


Nach Patrick Abozen steht schon der nächste "Tatort"-Ausstieg an. Nächste Woche ermittelt Alwara Höfels als Kommissarin Henni Sieland zum vorletzten Mal in Dresden. Im Fall "Déjà-vu muss sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Karin Gorniak (Karin Hanczewski) den Mord an einem neunjährigen Jungen aufklären. Besonders Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) hat mit dem furchtbaren Verbrechen zu kämpfen: Vor drei Jahren konnte er das Verschwinden eines anderen Jungen nicht aufklären.

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