Sonntag, 25. März 2018

Polizeiruf 110: Starke Schultern - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalkdabei.


Die Magdeburger Kommissare Doreen Brasch (Claudia Michelsen, Ku'damm 59) und Dirk Köhler (Matthias Matschke, Pastewka) finden am Tatort ausnahmsweise mal keine Leiche. Stattdessen treffen sie René Ottmann (Thomas Loibl), dessen Villa von einem Unbekannten angezündet würde. Der energische Bauunternehmer ist dem Brandanschlag nur durch Zufall entgangen. Verdächtige gibt es viele, da Ottmann kürzlich das Geschäft seines Konkurrenten Paul Wettiger (Hans-Heinrich Hardt) übernommen und Dutzende Arbeiter entlassen hat. Einer davon ist Uwe Schneider (David Korbmann), der seinen ehemaligen Chef erst vor wenigen Tagen mit einem Messer angegriffen hat. Als die Ermittler ihn festnehmen wollen, schlägt er Köhler nieder und entwendet dessen Dienstwaffe. Auf dem Revier herrscht ohnehin schon große Anspannung. Kriminalrat Uwe Lemp (Felix Vörtler) will die Kommunikation des Teams verbessern und hat Polizeipsychologe Niklas Wilke (Steven Scharf) auf Brasch und Köhler angesetzt.

Echte Probleme sehen anders aus

Konkurrenz für Faber und Co?
Foto: MDR
Derzeit ermitteln vier Teams im "Polizeiruf 110" und 22 im "Tatort", da muss einiges getan werden, um dem Zuschauer nachhaltig aufzufallen. Brasch und Köhler gehören eher weniger zu den Ermittlern, die lange im Gedächtnis bleiben - trotz der tollen Hauptdarsteller. Aus Magdeburg kommt pro Jahr auch nur ein Fall - der letzte lief im Februar 2017 - nicht gerade ideal, um eine Beziehung zu den Charakteren aufzubauen. Das scheinen auch die Verantwortlichen bemerkt zu haben und konzentrieren sich in "Starke Schultern" vor allem auf die Ermittler und ihre Problemchen. Als richtige Probleme möchte ich die Unstimmigkeiten gar nicht bezeichnen, denn ihre Dramatik ziehen sie vor allem aus der Wehleidigkeit der Betroffenen. Das beste Beispiel ist Kriminalrat Lemp, dessen Lebensziel es zu sein scheint, Köhler und Brasch zu einem perfekten Team zu machen. Dabei wirkt er wie ein Kind, das seine geschiedenen Eltern wieder zusammenbringen möchte (Wilke: "Vielleicht müssen Sie einfach akzeptieren, dass die beiden so sind, wie sie sind." Lemp: "Warum machen die das?"). Vielleicht sind die Kommissare auch so etwas wie seine Familie, denn als Lemp wegen einer Untersuchung ins Krankenhaus muss, bittet er Brasch, ihn zu begleiten. Die verschwitzt den Termin jedoch und erzählt dem Polizeipsychologen später unter Tränen, dass sie vor vielen Jahren auch ihren damals zehnjährigen Sohn in der Notaufnahme vergessen hat. Mittlerweile will er keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter. Ansonsten bekommt der Zuschauer aber keinerlei Anhaltspunkte, weshalb sich die Kommissarin so schlecht gelaunt durch die Ermittlungen muffelt. Bei ihrem Kollegen Köhler ist die Gefühlslage ebenfalls undurchsichtig. Seine Frau Claire (Bettina Stucky) ist Pastorin des Magdeburger Doms und auf dessen Dach feiern die beiden bei Sonnenuntergang glücklich verliebt ihren 15. Hochzeitstag. Mit Ausnahme der gestohlenen Waffe, wirkt der Ermittler in seinem dritten Fall nicht wirklich deprimiert oder verunsichert. Aber irgendetwas stört ihn doch, wie er Brasch bei einer Unterhaltung auf der Toilette gesteht ("Ich hab' gar kein Problem mit Ihnen. Ich hab' ein Problem mit mir. Sie machen es nur sichtbar."). Der Zuschauer erfährt nicht, was genau Köhler damit meint, doch seine Aussage zeigt, dass die "Probleme" zwischen den Kommissaren nicht ansatzweise so ernst sind, wie Lemp es dem Polizeipsychologen schildert. Im Vergleich zu ihren Kollegen vom "Tatort" aus Dortmund oder Berlin wirken Brasch und Köhler fast wie beste Freunde. Hier und da ein paar spitze Bemerkungen, das war es dann auch schon. 

Magdeburg recycelt gerne

Bei Ottmann hat's gebrannt, 'brannt, 'brannt!
Foto: MDR/filmpool fiction/Conny Klein
Bei so viel internen Schwierigkeiten gerät der Fall bei Zuschauern und Ermittlern schnell in Vergessenheit. In dieser Folge ist das nicht einmal schlimm, denn der Brandanschlag ist weder sonderlich spannend noch interessant. Beispielsweise meldet sich der flüchtige Uwe Schneider selbst bei der Polizei und bringt Köhlers Waffe gleich mit. Spätestens da vermuten die Ermittler, dass er wohl nicht der Täter ist. Überraschung. Die anderen entlassenen Mitarbeiter werden aus unbekannten Gründen nicht unter die Lupe genommen. Stattdessen konzentrieren sich Brasch und Köhler auf Ottmans Familie: Susan Dietrich (Ursina Lardi), die Schwester seiner verstorbenen Frau; deren Mann Axel (Sebastian Rudolph) und ihren gemeinsamen Sohn Carsten (Bruno Alexander, Die Pfefferkörner). Verhöre und Kriminaltechnik scheinen dem Team aus Magdeburg aber zu langweilig zu sein, daher improvisieren sie lieber nach Anleitung des Psychologen: Jeder der Polizisten nimmt die Rolle eines Familienmitglieds ein und.... keine Ahnung, was da eigentlich passiert. Die Teilnehmer gehen sofort in dem Spiel auf: Der Ottmann darstellende Polizist betatscht die Susan darstellende Brasch und irgendwie bringt das die Ermittlungen weiter... Wenn die Arbeit im Magdeburger Polizeirevier immer so abläuft, ist das Hobby der Kommissarin fast nachvollziehbar (Wilke: "Sie schütten sich Wodka ins Gesicht?" Brasch: "Ja, mach' ich!").
Zwischen Brasch (2.v.r.) & Wilke (3.v.r.) knistert es
Foto: MDR/filmpool fiction/Conny Klein
Tathergänge nachspielen, interne Streitigkeiten und eine Ermittlerin, die ihre Abende in Bars verbringt - es scheint fast ein wenig, als habe sich Drehbuchautor Josef Rusnak vom Dortmunder "Tatort" inspirieren lassen. Genau wie Martina Bönisch lässt es auch Brasch nachts krachen - statt Sex mit unbekannten Männern allerdings nur Tanzeinlagen mit unbekannten Männern und ein leidenschaftlicher Kuss mit Polizeipsychologe Wilke. Es gibt jedoch nicht nur Parallelen zum Krawall-Team aus dem Ruhrpott. Ottmann zwingt seine Schwägerin dazu, sich wie ihre tote Schwester zu verkleiden und mit ihm zu schlafen. Auch im Kölner "Tatort: Bausünden" gab es zwei Schwestern, die - einmal mit normaler Frisur und einmal mit auffälliger Perücke - von derselben bekannten Schauspielerin verkörpert wurden. Nur war die eine dort nicht tot, sondern verschwunden. Ein fanatischer Ehemann, der alles für die Rückkehr seiner Frau tun würde, kam in der Domstadt aber auch vor. Der "Tatort" letzte Woche drehte sich um das Zerbrechen einer vermeintlich intakten Familie und die Sinnkrise eines Kommissars, also praktisch dasselbe Grundkonzept wie in diesem "Polizeiruf". Es könnte also noch ein weiter Weg werden, bis Magdeburg unter den anderen 25 Sonntagskrimi-Teams auffällt.

Fazit

"Starke Schultern" ist eine uninspirierte, langweilige Folge, die schnell vergessen ist. Die Darsteller sind gut, können aus ihren vermeintlich zerrütteten Charakteren aber wenig herausholen. Der Zuschauer sieht zwar, wie sich die Figuren quälen, erfährt aber so gut wie nichts über die Gründe. Dennoch dreht sich ein Großteil der Handlung um den internen Konflikt, der im Vergleich zu vielen anderen Teams weder sonderlich gravierend noch logisch ist. Der Kriminalfall kann ebenfalls nicht überzeugen und wird mit Hinblick auf die schleppenden Ermittlungen und das seltsame Rollenspiel wohl eher aus Zufall gelöst. Zudem weist "Starke Schultern" zahlreiche Ähnlichkeiten zu anderen Sonntagskrimi-Teams und Fällen aus diesem Jahr auf. Dadurch wirkt die Geschichte aufgewärmt und lässt erst recht keine Spannung aufkommen. 


Nächste Woche ist Ostersonntag, daher sendet die ARD eine Wiederholung aus - wie sollte es anders sein - Münster. Am Ostermontag läuft dann die Erstausstrahlung "Zeit der Frösche". Kommissarin Ellen Berlinger (Heike Makatsch) hat sich versetzen lassen und ermittelt ab ihrem zweiten Fall in Mainz. Dort wird in einem Altkleidercontainer ein blutiger Hoodie gefunden. Berlingers neuer Kollege fürchtet, dass eine bislang unaufgeklärte Mordserie an Jugendlichen weitergeht.

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