Sonntag, 6. Mai 2018

Tatort: Familien - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalkdabei.


Ivo Klein (Christoph Betram) findet nach seinem feuchtfröhlichen Junggesellenabschied eine Tasche voller Geldscheine - insgesamt 500.000 Euro. Auf dem Weg nach Hause zu seiner wartenden Braut Jessica Dahlmann (Marie Meinzenbach) und dem gemeinsamen Kind wird er brutal von einem Auto überfahren. Die Fingerabdrücke auf der Tasche führen die Kölner Kommissare Freddy Schenk (Dietmar Bär) und Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) zum renommierten Wirtschaftsanwalt Rainer Bertram (Hansjürgen Hürrig). Nach einigem Zögern berichtet er den Ermittlern, dass seine Enkelin Charlotte Richter (Anke Sabrina Beermann) entführt wurde und er die halbe Million als Lösegeld zahlen sollte. Die Kommissare sind sich sicher, dass der Kidnapper auch den tödlichen Unfall verursacht hat. Da bei Charlottes Eltern Ines (Nicole Marischka) und Ludwig (Harald Schrott) wenig zu holen ist, vermuten die Ermittler außerdem, dass der Täter aus ihrem Umfeld stammt und daher vom Vermögen des Großvaters wusste. Schenk und Ballauf verdächtigen schnell Charlottes Freund Kasper (Anton von Lucke), denn er und seine Mutter Sandra (Claudia Geisler-Bading) haben noch eine Rechnung mit Anwalt Bertram offen.

Ein Festtag für "Tatort"-Puristen!

Die Zuschauer bloß nicht aufregen!
Foto: WDR
Freunde des klassischen Krimis mussten in den letzten Wochen viel verkraften: Anarchie und Weltuntergangsstimmung im deutsch-polnischen Grenzgebiet, grundlos herumschreiende Ermittler in Nürnberg und das Team der Bundespolizei hat seinen Fall zum Teil erfunden. Seit Jahren sind Schenk und Ballauf ein Garant für klassische, grundsolide Krimis - dafür aber meist auch nur Durchschnitt und mäßig spannend. "Familien" ist da keine Ausnahme. Wie schon ihr vorheriger Fall "Mitgehangen", dreht sich auch der aktuelle um die Verwicklungen und Beziehungen innerhalb einer Familie. Allerdings wird die Handlung diesmal gradliniger und unkomplizierter erzählt. Eine deutliche Verbesserung zum wirren Vorgänger! Die Ermittlungen bestehen größtenteils aus unaufgeregten Befragungen, ein paar kurzen Beschattungen und dem Mustern von Leichen - ein Lehrfilm für klassische Krimi-Drehbuchautoren. Durch die vielen langen Gespräche will aber keine Spannung aufkommen - trotz der akuten Gefährdungslage des Entführungsopfers. Das liegt auch an den zahlreichen humoristischen Einlagen. So muss Freddy, der in jeder Folge einen anderen schicken Oldtimer fährt, dank Assistent Norbert Jütte (Roland Riebeling) mit einem "Erbeerkörbchen" vorliebnehmen. Außerdem plaudert der Kommissar die ein oder andere peinliche Anekdote aus (Schenk: "Ich hatte ja auch mal ein Skateboard. (...) Genau eine Minute - kaum, dass ich das erste Mal drauf stand, da lag ich auch schon wieder unten."). Von Spannungsgrad und Stimmung her wirkt "Familien" also weniger wie ein "Tatort" sondern mehr wie ein ZDF-Vorabendkrimi. Das ist aber immer noch um Längen besser als Ballaufs spontane Lebenskrise in "Mitgehangen" oder das übertriebene Drama im "Polizeiruf 110" letzte Woche!
Der Fall bietet sowohl Humor als auch große Gefühle
Foto: WDR/Thomas Kost 
In den Schlussminuten nimmt der Fall dann doch noch Fahrt auf - nicht durch Nervenkitzel, sondern durch Emotionen. Der eindrückliche Showdown zeigt eine andere Seite an den Charakteren und bietet den Schauspielern die Möglichkeit, aus dem Korsett des trägen Durchschnitt-Krimis auszubrechen. Besonders Nicole Marischka als Mutter der entführten Charlotte geht in ihrer Rolle auf und spielt sehr berührend. Die stärksten Szenen in "Familien" werden alle von großen Gefühlen dominiert. In einer früheren Sequenz verabschiedet sich die junge Mutter Jessica von ihrem toten Verlobten, indem sie ihm seinen Ehering ansteckt. Ich mag es sehr, wenn sich Krimis nicht nur mit den Kommissaren und den Verdächtigen beschäftigen, sondern auch mit den Opfern. Aber Täter und ihre jeweilige Lebenssituation sind scheinbar interessanter und stehen meistens im Fokus, während die Geschädigten in Vergessenheit geraten - wie leider im wahren Leben häufig auch. Dieser "Tatort" findet einen Mittelweg, da Charlottes Familie im Zentrum der Ermittlungen steht - auf der einen Seite sind sie Opfer, auf der anderen aber vielleicht auch Täter. Dieser Zwiespalt ist interessant, wenn auch gegen Ende des Krimis ein wenig unglaubwürdig. Hier kann ich aus Spoiler-Gründen leider nicht ins Detail gehen, also nur so viel: Wie können alle Verdächtigen im "Tatort" immer fantastische Lügner sein? Allerdings tendiert Drehbuchautor Christoph Wortberg dennoch dazu, Charlottes Familie hinter den Ermittlungen anzustellen. In Bezug auf neue Informationen treffen die Kommissare dieselbe fragwürdige Entscheidung wie im Mainzer "Tatort: Zeit der Frösche" vor fünf Wochen. Während der Entschluss von den Betroffenen dort aber hart kritisiert wurde, geht er diesmal schnell unter und bleibt weitestgehend unkommentiert.

Hauptsache, Jütte wird satt!

Wie kann Jütte trotz seines Appetits die Figur halten?
Foto: WDR/Thomas Kost
Dafür nimmt sich Wortberg viel Zeit, um den neuen Assistenten als verplanten Trottel darzustellen. Er schläft im Büro (eine richtige Erklärung gibt es dafür nicht), stopft zu Freddys Missfallen Unmengen an Backwaren und Fastfood in sich hinein und trägt nicht wirklich viel Produktives zu den Ermittlungen bei. Bislang ist er nur ein erzwungener "Comic Relief"-Charakter und erinnert schmerzlich an seinen sympathischen, bienenfleißigen Vorgänger. Schenks Nebenhandlung ist auch nicht mehr als ein paar müde aneinandergereihte Gags. Er hat seinen 30. Hochzeitstag vergessen und versucht die ganze Zeit, seine Ehefrau - die der Zuschauer in 73 Kölner "Tatort"-Folgen noch kein einziges Mal gesehen hat - zu besänftigen. Dabei nimmt er nicht nur jedes Fettnäpfchen mit, sondern hat auch nicht den leisesten Schimmer, was seiner Liebsten gefallen könnte. Das Problem löst der beziehungsunfähige Ballauf dann aber für ihn. Die Schlussszene zwischen den beiden und Jütte ist herzerwärmend und witzig - im Gegensatz zum langatmigen Rest der persönlichen Geschichte. Mehrmals plant Freddy eine Überraschung für seine Frau, versaut sie und erntet dafür einen mahnenden Blick seines Kollegen und die Worte: "Das wird teuer, Freddy!" Spätestens beim dritten Mal ist das nicht mehr lustig oder unterhaltsam. Schenk scheint aber noch eine zweite Liebe neben seiner Frau gefunden zu haben: die sozialen Medien. Die Kommissare beziehen bei ihren Ermittlungen auch die Online-Posts ihrer Zeugen, Verdächtigen und Opfer mit ein. Während das bei den meisten anderen Teams sehr verkrampft wirkt, schafft es das Kölner Team, sie ungezwungen und mit einem Augenzwinkern einfließen zu lassen (Verdächtige: "Woher wussten Sie eigentlich, dass ich hier bin?" Schenk (sucht etwas auf seinem Handy und hält es ihr hin): "Social Media - ihr letzter Post."). Schön zu sehen, dass Onlineaktivitäten nicht immer verteufelt oder langatmig erklärt werden müssen.

Fazit

"Familien" ist ein "Tatort", der sich solide im Mittelfeld hält - ohne nennenswerte Ausschläge nach oben oder unten. Alles gleicht sich irgendwie von selbst aus. So wird die fehlende Spannung durch die toll gespielten Emotionen aufgefangen und die langatmige persönliche Geschichte des Ermittlers ist trotzdem noch eine deutliche Verbesserung zu der im vorherigen Fall des Kölner Teams. Langfristig wird dieser Fall wohl nicht in Erinnerung bleiben, eben weil er dem klassischen Krimi-Konzept folgt und in jeglicher Hinsicht in Ordnung, aber nie herausragend ist. Als Ausgleich zu den teils sehr ungewöhnlichen Folgen der letzten Wochen ist er jedoch gut platziert worden.


Nächste Woche steht der zweite Fall des Ermittlerteams aus dem Schwarzwald an. In "Sonnenwende" müssen die Kommissare Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) den plötzlichen Tod einer jungen Frau aufklären. Während sich Berg der Familie verbunden fühlt und an ein natürliches Ableben glaubt, ist Tobler anderer Meinung und setzt alles daran, die Ermittlungen weiterlaufen zu lassen.

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