Sonntag, 10. Dezember 2017

Tatort: Dein Name sei Harbinger - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalkdabei.


Den Berliner Kommissaren Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke, Dark) bietet sich ein gruseliges Bild am Tatort: Der Tote wurde in einem gestohlenen Transporter bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Doch er ist nicht das einzige Opfer. Die Leichen von drei weiteren jungen Menschen wurden auf dieselbe Art und Weise entsorgt. Ihre Gemeinsamkeit: Sie alle sind durch In-vitro-Fertilisation in der Reproduktionsklink Wohlleben entstanden. Mittlerweile wird die von Dr. Stefan Wohlleben (Trystan Pütter) geleitet. Vorher haben seine Mütter Geschäftsführerin Dr. Irene Wohlleben (Almut Zilcher) und und Laborchefin Hanneke Tietzsche (Eleonore Weisgerber) Paaren den Kinderwunsch erfüllt. Sie haben auch eine Idee, wer für die Morde verantwortlich sein könnte: Der psychisch labile Werner Lothar (Christoph Bach), der bereits im Alter von 16 Jahren einen Anschlag auf die beiden Wissenschaftlerinnen geplant hatte. Karow versucht in einer gewagten Undercover-Aktion das Vertrauen des Verdächtigen zu gewinnen. Der beobachtet schon sein nächstes Ziel: Anna Feil (Carolyn Genzkow), die ehemalige Hospitantin und jetzige Kommissaranwärterin des Berliner Präsidiums.

Krude und doch unterhaltsam

Mega unauffällig: Karow (l.) & Rubin
Foto: rbb
Ab der allerersten Sekunde geht es in diesem "Tatort" rund. Der Anfang ist so hektisch und abrupt geschnitten, dass die Bilder vor den Augen verschwimmen. Ganz so actionreich ist der restliche Krimi nicht, doch es gibt einige spannende Momente. Karows spontaner Undercover-Einsatz beginnt damit, dass er ohne mit der Wimper zu zucken vor den Augen des Verdächtigen auf seine Kollegin Rubin schießt. Sie trägt natürlich eine schusssichere Weste, weshalb es nicht so aufregend ist. Was hingegen beunruhigt: Die Panik der Passanten in der U-Bahnstation Alexanderplatz. Ob zwei Polizisten eine derartige Aktion im richtigen Leben tatsächlich genehmigt bekommen hätten? Sicher nicht! Aber das Berliner Team hat auch in seinen vergangenen Fällen mehr auf krude Geschichten und Action gesetzt als auf einen logischen Kriminalfall. "Dein Name sei Harbinger" ist jedoch der erste "Tatort" von Rubin und Karow, den ich mochte. Die Handlung ist nicht schlüssig und das Mordmotiv albern und konstruiert, aber darüber konnte ich hinwegsehen, denn die Geschichte unterhält. Besonders eine Szene hat mir richtig gut gefallen: Anna Feil erfährt zu Beginn des "Tatort", dass ihr Vater verstorben ist. Als sie mir ihrer Mutter skypt, klingelt Werner Lothar als vermeintlicher Handwerker an der Tür. Die trauernde Kommissarsanwärterin lässt ihn herein und kehrt zum Videoanruf zurück. Währenddessen schleicht er durch die Wohnung und durchwühlt ihre Sachen. Der Höhepunkt: Annas Mutter fragt ihre Tochter unsicher, wer da hinter ihr stehe... Diese Szene fand ich wirklich gruselig, da sie so realistisch ist und ein unangenehmes Gefühl hinterlässt. Krimi-Traditionalisten müssen zusätzlich stark sein, denn bei "Dein Name sei Harbinger" handelt es sich, wie bei den meisten Sonntagskrimis der letzten Wochen, nicht um einen klassischen Whodunit. Die kurze Szene, in der Lothar die Kommissarsanwärterin von hinten beobachtet, wird auch aus seiner Perspektive gezeigt. Spätestens da wird klar, dass er kein "normales" Motiv hat: Er glaubt zu sehen, wie Annas Kopfhörerkabel in ihrer Haut verschwindet.
Romy mag Werner trotz seiner schrägen Art
Foto: rbb/Gordon Muehle
Nach Zombies und Geistern behandelt der "Tatort" nun zum dritten Mal innerhalb von sechs Wochen ein übernatürliches beziehungsweise verschwörungstheoretisches Thema. In Werners Welt sind die Retortenkinder "Replikanten", die aus dem Verkehr gezogen werden müssen oder so, denn was genau er vorhat, wird nicht erklärt. Dasselbe gilt für Romy (Luise Aschenbrenner), die er vor ihrem übergriffigen Freund gerettet hat (Werner: "Du musst nicht bei ihm bleiben." Romy: "Was meinst denn du?" Werner: "Du hast die freie Wahl und entscheidest dich für Selbstunterdrückung."). Um nicht zu spoilern nur so viel: Sie ist ebenfalls nicht die Person, für die der Zuschauer sie zuerst hält. Wer oder was genau sie ist und welchen Zweck sie erfüllen sollte, bleibt offen. Erklärungen sind in diesem "Tatort" Mangelware. Alles passiert irgendwie, doch auf die Fragen "Wie?" oder "Wieso?" geben die Drehbuchautoren Michael Comtesse und Matthias Tuchmann selten Antworten (Letzerem wurde "Dein Name sei Harbinger" gewidmet, nachdem er im November 2016 im Alter von 42 Jahren verstorben ist.). Das Thema Reproduktionsmedizin spielt dabei eine deutlich kleinere Rolle, als die Inhaltsangabe verspricht. Die meisten Informationen bekommt Rubin in einer einzigen Szene ("Watt haben Sie da veranstaltet in Ihrer Klinik?"), allerdings auch eher auf emotionaler als auf sachlicher Ebene.

Zwei psychische Wracks und eine einsame Heldin

Anna Feil muss in diesem Fall sehr viel verkraften
Foto: rbb/Gordon Muehle
Anstelle sich auf die eigentliche Thematik zu konzentrieren, dreht sich der Krimi vor allem um die Protagonisten. Da Werner Lothar schnell als Hauptverdächtiger feststeht, gibt es nur wenig Befragungen oder bodenständige Spurensuche. Der Zuschauer folgt dem psychisch labilen Mann durch "seine Welt", die Tunnel unter Berlin. Dennoch gibt Lothar wenig über sich preis, was ihn zu einem interessanten Charakter macht. Sein Gegenspieler ist Karow, der sich mit einem übermenschlichen Elan in die Ermittlungen stürzt und einen unüberlegten Alleingang nach dem anderen einlegt. Die exzentrische Rubin hält sich dieses Mal ein wenig zurück. Während die zerrüttete Beziehung zu ihrem Mann und ihren Söhnen in den letzten Folgen omnipräsent war, beschränkt sich diese Nebenhandlung nun hauptsächlich auf eine Szene. Darin eröffnet die Kommissarin ihrem perplexen älteren Sprössling, dass sie ihn zu seinem Vater nach Bayern abschiebt. Dabei verzieht sie keine Miene und nimmt ihn nicht einmal in den Arm. Muttergefühle zeigt sie nur, als sie Anna weinend auf der Toilette findet. Obwohl, einen sonderlich guten Job macht sie auch dabei nicht. Abends lässt sie die trauernde und betrunkene junge Kollegin einfach alleine auf der Straße stehen, nachdem sie ihr einen ungelenken Kuss auf die Stirn gedrückt hat. Genau wie Karow legt Rubin jedoch in ermittlungstechnischen Dingen ein unglaubwürdiges Talent an den Tag. Sie errät beispielsweise die Verbindung zwischen den Toten nur, weil einer von ihnen eine etwas ältere Mutter hat. Mit solchen Fähigkeiten sollte sie zum FBI (Bei "Blindspot" wird vermutlich gerade eine Stelle frei.)! Am meisten mochte ich jedoch Anna, die in dieser Folge endlich einmal mehr darf, als nur recherchieren. Es wirkt ein wenig überladen, dass sie persönlich in den Fall verwickelt und ihr Vater gestorben ist, aber durch ihre souveräne Art fällt beides nicht sehr ins Gewicht. Tatsächlich ermittelt sie deutlich rationaler als die beiden älteren Kollegen und lässt sich nicht, wie es im Sonntagskrimi so oft der Fall ist, durch eigene Probleme die Sicht vernebeln. Hoffentlich ist sie ab nun ein vollwertiges Mitglied des Teams, denn eine geerdete Kollegin brauchen Rubin und Karow dringend!


Fazit

"Dein Name sei Harbinger" ist bislang der beste "Tatort" des Berliner Teams. Die beiden Kommissare sind zwar auch weiterhin furchtbar unsympathische, vereinnahmende Charaktere, doch in dieser Folge stehen sie nicht so präsent im Vordergrund wie in den vorherigen. Das liegt vor allem am interessanten Hauptverdächtigen und der zur Kommissaranwärterin beförderten Anna Feil. Die einzige Szene, in der die beiden aufeinandertreffen, ist intensiv und verursacht Gänsehaut. Der Rest der Handlung kann dabei nicht ganz mithalten. Die Geschichte ist unterhaltend, jedoch weder glaubwürdig noch schlüssig oder sonderlich spannend. Karows Undercover-Aktion rutscht sogar ins Lächerliche ab. Das eigentliche Thema Reproduktionsmedizin kommt nur am Rande vor und beweist ein weiteres Mal, dass es beim Berliner "Tatort" eher um exzentrische Charaktere und blutige Showdowns als um plausible Geschichten und packende Themen geht. In "Dein Name sei Harbinger" ist das jedoch kein Nachteil.


Vor zwei Wochen ermittelten die Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) im viel diskutierten "Tatort: Böser Boden". Nächsten Sonntag sind die beiden erneut an der Reihe. In "Dunkle Zeit" müssen sie die Fraktionsvorsitzende einer rechten Partei schützen. Doch ihr Mann kommt bei einer Explosion ums Leben.

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